Am 03. Oktober 2011. Gegen Deutschland. Immer noch, Immer wieder!
Neues, altes Deutschland
Mit dem Fall der Mauer und der „Wiedervereinigung“ wurde das Ende der Nachkriegsära eingeleitet. Eine der sichtbarsten Folgen von Nationalsozialismus und Auschwitz – die deutsche Teilung – wurde aufgehoben, die aus dem alliierten Sieg folgende geopolitische Schwächung Deutschlands beendet. Vorbei waren die Zeiten, in denen ein „Bundesrepublik” voran- oder ein „Demokratische Republik” nachgesetzt werden musste. Ohne die alliierte Aufsicht brach ungehemmt hervor, was ohnehin nie ganz besiegt oder aufgearbeitet war: Pogrome in Hoyerswerda, Mannheim und Rostock-Lichtenhagen, Brandanschläge in Mölln, Lübeck und Solingen sprachen eine deutliche Sprache der deutschen Einheit – die mehrheitlich als völkische, im Blut liegende, verstanden wurde. Bereits der Begriff der „Wieder”-Vereinigung macht das deutlich: Er unterstellt, es sei zusammengekommen, was schon immer zugesammengehört habe – und dessen Teilung unerträglich sei. Was da durch die schlichte Annexion der DDR vereinigt wurde, ein Deutschland in diesen Grenzen, hatte es jedoch vorher nie gegeben. Am ehesten entspricht es noch den Grenzen der Weimarer Republik und des „Dritten Reiches” bis zum „Anschluss” Österreichs. Weite Teile des heutigen Polens gehörten 1918 wie 1937 ebenfalls noch zu „Deutschland” – ein noch bis heute geäußerter Anspruch. Plakativ zeigte er sich 1991 an der Wiederaufnahme des bis zum Kriegsende gültigen Namens „Mitteldeutscher Rundfunk” für den in Leipzig sitzenden Sender: Eine faktische Nicht-Anerkennung der Oder-Neiße-Grenze. Diese musste bei den Verhandlungen zur „Wieder“-Vereinigung von Polen unter massivem Widerstand der deutschen Regierung erstritten werden.
Die sich in dieser Klarheit offenbarenden volksgemeinschaftlichen Kontinuitäten in Denken und Handeln der Deutschen im Jahre 1989 markierten eine Zäsur, der sich linke Kritik stellen musste. Spätestens jetzt hätten auch die letzten Linken einsehen müssen, dass eine radikale Kritik an nationaler Vergemeinschaftung auf rassistischer Grundlage und an der Relativierung von Auschwitz nötig war. Denn das völkische Denken war gesamtgesellschaftlicher Konsens, was sich unter anderem in der faktischen Abschaffung des Grundrechts auf Asyl zeigte, die im „Asylkompromiss“ von CDU, CSU, FDP und der SPD-Opposition mit vereinten Kräften beschlossen wurde. In den Angriffen auf die als fremd Markierten setzte der deutsche Mob auf der Straße durch, was später im Bundestag in Gesetzesform gegossen wurde: „Wir sind ein Volk“.
Eine weitere Zäsur stellte die 1998 von der rot-grünen Bundesregierung eingeleitete „Berliner Republik” dar. Das Bild der Nation wandelte sich. Seit dem „Sommermärchen“ 2006 präsentieren Medien wie Politiker_innen stolz die vielen „Migrant_innen“, die in den deutschen Fußball-Nationalteams spielen. Und tatsächlich gibt es konkrete Veränderungen im Staatsbürgerschaftsrecht, Samy Deluxe findet Deutschland mittlerweile ganz knorke und in jeder Deutschland-Werbung werden people of colour inszeniert. Allerdings wird die völkische Vorstellung der Nation auf mehreren Ebenen fortgesetzt: Für die, die da ganz happy das „moderne Deutschland“ propagieren, gelten die Özils, Kadiras und Jones ja gerade nicht als „normale Deutsche“, sondern sind – reduziert auf ihren „Migrationshintergrund“ – nur die Aushängeschilder der vermeintlichen Modernisierung. Für den Mob und die Medien sind sie gerade gut genug, wenn sie Tore schiessen, gleichzeitig wird aber ganz genau hingeschaut, ob „die“ auch die Nationalhymne mitsingen und sich auch gegen die Türkei richtig ins Zeug legen. Die Integrationsdebatte des letzten Jahres hat gezeigt, dass mittlerweile auch CDU-Poliker_innen mehr „gezielte“ Einwanderung fordern. Sie haben erkannt, dass es besser ist, den völkischen Nationalismus nicht offen zu formulieren, und dass Immigration ökonomisch unausweichlich ist. Doch auch wenn dies bedeutet, dass es für einen Menschen etwa aus Pakistan mit technischer Ausbildung evtl. einfacher wird, einen Aufenthaltsstatus zu bekommen, vielleicht sogar einen deutschen Pass, wird ihn_sie die Frage, wo er_sie denn „eigentlich herkommt“, ein Leben lang begleiten. Eine Frage, die auch fällt, wenn es sich um die Kinder bereits Eingewanderter handelt. Es bleibt dabei: Richtig deutsch ist, wer von Deutschen abstammt.
Seit der Berliner Republik findet auch eine offensive Umkehr in der Erinnerungspolitik statt. Die zuvor noch abgewehrte Auseinandersetzung mit den deutschen Verbrechen wurde institutionalisiert. Was früher beschwiegen wurde, legitimiert heute unter ständigem Gerede von „Verantwortung“ deutsche Politik. Die Vergangenheit wird nicht mehr geleugnet, stattdessen deren „Aufarbeitung” in den Vordergrund gestellt. Während die Deutschen sich zuvor mittels Schweigen einer ernsthaften Auseinandersetzung mit ihrer Geschichte entzogen, tun sie es heute durch die Guidoknoppisierung der Geschichte und das Geschwätz von „deutschen Opfern“ in Dresden. Diese Pseudoreflexion wird dabei noch zum moralischen Alleinstellungsmerkmal aufgewertet: Ausgerechnet mit den deutschen Verbrechen begründete der grüne Außenminister Joschka Fischer den ersten Auslandseinsatz der Bundeswehr gegen das in diesem Jahrhundert bereits zum dritten Mal von Deutschen attackierte Serbien. Auschwitz und seine „Aufarbeitung” verkommen somit zur ideologischen Rechtfertigung für Deutschland, seine Interessen im Ausland auch mit militärischen Mitteln durchzusetzen.
Heute ist Deutschland wieder Global Player, Exportweltmeister und die Führungsmacht in Europa. Selbstbewusst wird mittlerweile ein ständiger Sitz im UN-Sicherheitsrat gefordert, in dem Gremium also, das als Reaktion auf die deutschen Angriffskriege gegründet worden war. Nach den USA hat die Bundeswehr die meisten Soldat_innen auf dem Erdball verteilt, Deutschland ist weltweit drittgrößter Rüstungsexporteur. Daran wird auch die Krise nichts ändern. Am Entwurf der europäischen Krisenreaktion ist Deutschland federführend beteiligt, sie folgt somit insbesondere deutschen Wünschen. Hier wirken ideologische wie wirtschaftliche Interessen zusammen: „Old Europe“ soll als Gegenmacht zu den USA in Stellung gebracht und gleichzeitig der Euro-Raum im Sinne deutscher Tugenden zu Fleiß und Sparsamkeit angehalten werden – und nebenbei sollen alle EU-Staaten ordentlich deutsche Produkte importieren. Dies geschieht zu Lasten der „Pleite-Griechen”, denen, begleitet von einer Hetzkampagne gegen „faule Südländer”, ein beispielloses Sparprogramm diktiert wird, ohne dass die Auswirkungen deutscher Niedriglohn- und Handelspolitik auf die anderen EU-Staaten ins Visier geraten.
Eine heutige Kritik an Deutschland muss etwas zu dieser spezifischen deutschen Situation zu sagen haben. Wenn sie den hiesigen Verhältnissen angemessen sein soll, muss sie die Kritik eines Nationalismus beinhalten, der sich in Deutschland immer völkisch formierte und sich notwendig auf Auschwitz beziehen muss.
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